Forensik-Seminar 2023
Facetten der Sicherheit in der forensischen Psychotherapie
01./02.12.2023
Markus G. Feil, Tilman Kluttig, Franziska Lamott, Mathias Lohmer, Corinna Wernz
Die Arbeit in forensischen Institutionen ist naturgemäß von Risiken begleitet. Einschätzung und Beherrschung von Risiken rufen die Herstellung von Sicherheit auf den Plan. Entsprechende Aufgaben beschäftigen forensische Institutionen und deren Repräsentanten in besonderem Maße: Insassen, Mitarbeitende aller Professionen, aber auch Verantwortungsträger der Justiz und der Politik. Risiken zu beherrschen und Sicherheit zu konzipieren, birgt allerdings die Gefahr einseitig einem eher statischen, technischen Begriff von Sicherheit zu folgen. Die therapeutische Erarbeitung von intrapsychischer und interpersoneller Sicherheit gerät damit aus dem Fokus. Die Tagungsbeiträge beschäftigen sich mit verschiedenen Facetten von Sicherheit, wie auch mit trügerischen Illusionen intrapsychischer Herstellung von Sicherheit.
(1) In seinem Beitrag Über die allmähliche Verfertigung von Sicherheit in der forensischen Psychotherapie beschäftigt sich Tilman Kluttig mit Sicherheit als einem dynamischen Phänomen im therapeutischen Prozess, das sich aus der Berücksichtigung vieler Facetten von Sicherheit ergibt: Sicherheit des Rahmens, intrapsychische und interpersonelle Sicherheit von Patient:innen und Mitarbeitenden, Bindungssicherheit, soziale Sicherheit. Erst aus der Anerkennung und Bearbeitung all dieser Facetten ergibt sich eine komplexe, relative und dynamische Sicherheit, die dann auch valide Risikoeinschätzungen, Interventionen und Prognosen ermöglichen. Neben der Darstellung der Facetten der „relational security“ (Beziehungssicherheit) sollen beispielhaft Aspekte des therapeutischen Vorgehens dargestellt werden.
(2) Intrapsychische und interpersonelle Mechanismen der Herstellung innerer Sicherheit von Patientinnen wie auch von Behandlerinnen beschreiben Corinna Werz und Franziska Lamott in ihren Referaten über Selbstwert und innere Sicherheit um jeden Preis. Corinna Wernz betrachtet die Spielarten von Manipulationen der Wirklichkeit durch forensische Patientinnen. So zeigt die Aufklärung von Regelverstößen als zentrales bewusstes wie unbewusstes Motiv von Patienten, dass ein Gefühl der existenziellen „inneren Sicherheit“ bedroht erschien. Franziska Lamott beschäftigt sich mit grenzüberschreitenden Beziehungen von Therapeutinnen zu Gefangenen und Beziehungsmustern kontaktsuchender Frauen zu Inhaftierten, in denen Psychodynamiken von Omnipotenz und Realitätsverleugnung rekonstruieren lassen, die die Illusion größerer “psychischer Sicherheit“ nähren.
(3) In seinem Beitrag "Das Trauma durch Delinquenz un-sichtbar machen" widmet sich Markus G. Feil der Rolle von Traumata im Zusammenhang mit Sexual- und Gewaltdelinquenz bei Männern. Einst selbst traumatisiert, tauchen die Traumata der Patienten nicht nur in der Übertragungsbeziehung der Behandlung, sondern auch unbewusst im institutionellen Handeln wieder auf. Traumata wiederholen sich oft als „offence analogue behaviours“, als erneute Gewalthandlungen, und als „dangerous liaisons“ zwischen Patienten und Professionellen. Ein hilfreiches Konzept dabei ist das der „traumatised organisation in the mind“, sowohl als Persönlichkeitsorganisation, wie auch als inneres Bild der forensischen Organisation.
(4 ) Umso wichtiger werden Perspektiven aus einer dritten Position. Mathias Lohmer befasst sich in seinem Referat mit der Herstellung Psychologischer Sicherheit in der Supervision. Fall- und Teamsupervision stellen in der forensischen Psychotherapie eine wichtige Unterstützung dar, um den Container der Therapie immer wieder von toxischen therapeutischen und institutionellen Prozessen zu reinigen. Massive paranoide Projektionen und projektive Identifikationen sowie einschüchternde Real-Erfahrungen bedrohen dabei immer wieder die Integrität des Containers Supervision. Das Konzept der „Psychologischen Sicherheit“ hilft uns dabei, eine Atmosphäre der Offenheit und der Sicherheit zu etablieren. In seinem Referat zeigt Mathias Lohmer, wie dies geschehen kann und was dafür notwendig ist.
In diesem 11. Jahr unseres Seminars folgen den Kurzvorträgen wieder Diskussionen und Fallgruppen, in denen die Teilnehmenden eigene Fälle und institutionellen Erfahrungen einbringen und die Referenten diese unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen konzeptuellen Vorstellungen mit der Gruppe diskutieren werden
Hier kommen Sie zum PDF-Flyer.
Freitag, 01.12.2023
13:00 – 13:30 Uhr Eröffnung
13:30 – 14:30 Uhr Referat und Diskussion
„Über die allmähliche Verfertigung von Sicherheit in der forensischen Psychotherapie “
Tilman Kluttig
14:30 – 14:45 Uhr Pause
14:45 – 15:45 Uhr Fallgruppen 1
15:45 – 16:15 Uhr Bericht aus den Fallgruppen
16:15 – 16:30 Pause
16:30 – 17:30 Uhr Referat und Diskussion
„Selbstwert und innere Sicherheit um jeden Preis“
Corinna Wernz & Franziska Lamott
17:30 – 18:15 Uhr Abschluss und Apero
Samstag, 02.12.2023
09:00 – 10:00 Uhr Referat und Diskussion
„Das Trauma durch Delinquenz un-sichtbar machen“
Markus G. Feil
10:00 – 11:00 Uhr Fallgruppen 2
11:00 – 11:30 Uhr Pause
11:30 – 12:30 Uhr Referat und Diskussion
„Psychologischer Sicherheit in der Supervision“
Mathias Lohmer
12:30 – 14:00 Uhr Mittagspause
14:00 – 15:00 Uhr Fallgruppen 3
15:00 – 16:00 Fallgruppen 4
16:00 – 16:30 Uhr Bericht aus den Fallgruppen und Abschluss